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Rembert Biemond
Lebenslauf von Jörgen Smit


In einem Gespräch einige Wochen vor seinem Tode erzählte er, wie er sein Leben in drei großen Epochen von je 25 Jahren vor sich sah:

1916 bis 1941 Kindheit und Schulzeit, Studium;
1941 bis 1966 Lehrtätigkeit an der Waldorfschule in Bergen/Norwegen;
1966 bis 1991 Rudolf Steiner-Seminar Järna/Schweden und Goetheanum.

Kindheit und Jugend

Jörgen wurde am 21. Juli 1916 in Bergen als zweiter von insgesamt sieben Söhnen geboren. Seine Eltern, Lili Faye und Christian Smit, waren beide Anthroposophen, zudem persönliche esoterische Schüler von Rudolf Steiner. So wuchs er die ersten Jahre nahe der Fjorde und Felsen auf, mit denen er später so oft verglichen wurde, in den regnerischen Bergen, in einer sehr lebendigen, harmonischen, nicht unvermögenden Familie.

Eine seiner liebsten Jugenderinnerungen stammt aus dem Jahre 1923. Rudolf Steiner kam nach Norwegen, würde aber nur in Oslo sprechen können. Jörgens Eltern reisten natürlich dorthin, denn die norwegische Landesgesellschaft sollte offiziell begründet werden. Die Kinder blieben in Bergen, aber Rudolf Steiner beauftragte die Mutter ganz ausdrücklich, herzliche persönliche Grüße an die Kinder auszurichten. Jörgen, damals fast sieben Jahre alt, erinnerte sich, als sei dies erst kürzlich geschehen, wie seine Mutter von der Reise zurückkam und diese Grüße übermittelte, und trug dies sein ganzes Leben lang als kleinen Schatz mit sich.

Im Jahre 1927 zog die Familie nach Oslo. Jörgen konnte vier Jahre die eben gegründete Waldorfschule in Oslo von der 4. bis zur 8. Klasse besuchen. Anschließend kam er auf das Gymnasium. Er wurde durch seine Intelligenz und vielleicht auch durch seine Statur (er war später 1,95 m groß) sofort eine Klasse höher eingestuft und kam neben seinen älteren Bruder Didrik auf die Schulbank. Didrik erzählte mir, daß er damals einsehen musste, daß Jörgen der größere, stärkere und intelligentere von ihnen beiden war, der, für ihn zum Glück, wenn «Smit!» in der Klasse aufgerufen wurde, immer die richtige Antwort gab.

Während und nach einer Krankheit mit 14 Jahren las er in der Zeit von drei Wochen das gesamte Werk Henrik Ibsens. Er las es nicht nur, sondern lebte ganz darin und fühlte sich in diesem Werk vollkommen beheimatet. An seinem 65. Geburtstag erzählte er aus seinem Leben und sprach über diese Zeit als eine der glücklichsten in seinem Leben.

Ein enormer Lesehunger erwachte. Er beschloss, «alle Bücher der Welt» lesen zu wollen, ging zur Königlichen Bibliothek in Oslo und fragte buchstäblich: «Wie viele Bücher gibt es?» Die Berechnungen, die Jörgen anschließend unternahm, führten dazu, daß er feststellen musste: Es ist unmöglich, es geht nicht! Diese Erkenntnis brachte ihn aber nicht davon ab, wenigstens soviel wie möglich lesen zu wollen. Er hatte eine enorme Willenskraft, und ein innerlich mit seinem radikalen Denken gefasster Beschluss war unwiderruflich.

So führte diese Absicht eine Zeit lang zu einem etwas merkwürdigen Verhalten, denn jede Minute wurde mit Lesen ausgefüllt. Zum Beispiel konnte man auf dem Schulweg ja auch im Gehen lesen, solange man bei den Kreuzungen kurz aufpasste. Auch jede Möglichkeit Zeit zu sparen wurde genutzt. Die Zeit zwischen zwei Unterrichtsstunden war meistens lang genug, um die Hausaufgaben schon einmal im Kopf voraus zu lösen. Und schließlich konnte die Zeit, in der es äußerlich unmöglich war, zu lesen, immer noch zum Denken genutzt werden. Sechs sich raufende Brüder, die teilweise an seinem Nacken hingen, störten ihn nicht beim Studieren von Fichte, Hegel, Kant, Aristoteles und anderer «leichter Kost». Er war jetzt 16 Jahre alt. Für die Auswahl der Lektüre nahm er Rudolf Steiner zu Hilfe, so daß er alle der in der einen oder anderen Weise in seinem Werk genannten Quellen im Original studierte.

Deutsch hatte er sich selbst beigebracht. Obwohl einige Bücher von Rudolf Steiner ins Norwegische übersetzt waren, entschloss er sich mit 15 Jahren, Rudolf Steiner im Original zu studieren. Er lieh sich von seinem Vater die «Geheimwissenschaft» sowie ein deutsch/norwegisches Lexikon und schaute jedes Wort nach. Dieses bestimmt mühsame Projekt, das jeder andere nach einigen Seiten aufgegeben hätte, aber von Jörgen mit eisernem Willen durchgesetzt wurde, führte ungefähr in der Mitte des Buches zu einem Durchbruch. Bei der Passage über die Sonnenentwicklung gelang es ihm auf einmal, ohne Lexikon fließend weiter zu lesen. Von diesem Moment an konnte er Deutsch.

Student in Oslo und Basel

Noch während seiner Schulzeit studierte er astronomische Bücher. Er hatte einen Professor für Astronomie der Universität gefragt, welche Bücher für dieses Studium wichtig wären. Nach seinem Abitur wählte er aber an der Universität von Oslo klassische Philologie mit Griechisch als Hauptfach und Deutsch und Latein als Nebenfächern.

Mit 20 Jahren trat eine wichtige Veränderung in seiner bis dahin sehr nach innen gerichteten Leseexistenz ein. Eine intensive Freundschaft mit Conrad Englert führte zum Entdecken der Natur und der sinnlichen Welt überhaupt. Englert war eine nicht unumstrittene, aber sehr interessante, intensiv lebende Persönlichkeit. Schon in jungen Jahren war der Schweizer Englert als Autor bekannt («Vom Mythos zur Idee der Schweiz» u. a.). Auch hatte er die Waldorfschule in Zürich gegründet und spielte eine aktive Rolle in der Anthroposophischen Gesellschaft. Englert hatte die Schwester von Jörgens Mutter geheiratet. Jörgen bewunderte diese Persönlichkeit sehr. Englert war nicht nur philosophisch und kulturhistorisch glänzend geschult, sondern auch ein Mensch, der stark in der Wahrnehmung der Natur lebte und malend und zeichnend durch die Welt zog. Wenn etwas für Englert interessant war, dann auch für Jörgen, und so erschloss sich ihm eine neue Welt.

Es war auch Englerts Idee, daß Jörgen ein Jahr an der Universität Basel studieren sollte, einer Universität mit umfassender humanistischer Tradition und mit Dornach ganz in der Nähe. So kam er 1937 in die Schweiz, begegnete Marie Steiner und sah den «Faust», dessen beide Teile gerade im Sommer 1938 zum ersten Mal vollständig aufgeführt wurden. Von Englert wurde er auch zu Besprechungen mit dem Vorstand (es war kurz nach der großen Gesellschaftskrise) als Repräsentant von Norwegen mitgenommen. Englert starb 1945, erst 46 Jahre alt. Für Jörgen, damals 29 Jahre alt, ein tiefer Schicksalsschlag!

Zurück in Oslo 1938 gründete er mit einigen Kommilitonen einen Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft. Es existierte natürlich schon ein Zweig. Aber Jörgen verwies die älteren Mitglieder, die die Frage stellten, ob eine zweite Gruppe denn nötig sei, auf die Statuten. Für soziale Argumente hatte Jörgen damals noch wenig Verständnis. Schon bald war die neugegründete Oslo-Gruppe der größte Zweig in Norwegen.

Er wohnte wieder bei seinen Eltern und Brüdern und entwickelte dort sein Talent als Geiger im Smit-Hausorchester. Als Sportorganisator und Sportler wurde im Sommer gesegelt, aber vor allem Athletik und griechischer Fünfkampf betrieben. An der Universität war er der einzige seines Jahrgangs, der Griechisch als Hauptfach hatte, und so hielt der Professor für Griechisch ganz formell Vorlesungen mit Jörgen als einzigem Hörer im Vorlesungsraum. Eine Universitäts-Karriere interessierte ihn nicht, obwohl diese für ihn offenstand. Sein Professor meinte sogar, so berichtet Dan Lindholm, seinen Nachfolger vor sich zu haben. Viel lieber wollte er sich für die Anthroposophie, die Anthroposophische Gesellschaft und die Waldorfpädagogik einsetzen.

Waldorflehrer in Bergen

Unter sehr schwierigen Umständen kam er im Herbst 1940 in seinen Geburtsort Bergen zurück. Norwegen war inzwischen von den Nazis besetzt. Die gerade gegründete Waldorfschule Bergen hatte erst sehr wenige Schüler, und wegen des Kriegs waren die wirtschaftlichen Verhältnisse miserabel. Jörgens spartanisch-asketische Lebenseinstellung passte hierzu gerade richtig. Das Lehrerzimmer mit einem Klappbett wurde zunächst seine Wohnung. Alle Bürgerlichkeit blieb ihm sein Leben lang fremd. Praktisch, unsentimental, wesentlich, sachlich - das waren seine Charakterzüge.

Der Einsatz für seine Schüler muss enorm gewesen sein. Er war ein Mann der Tat, der für und mit seinen Schülern lebte. Eine tiefe spirituelle Menschenkenntnis (die «Meditativ erarbeitete Menschenkunde» von Rudolf Steiner war eines seiner bevorzugten Bücher) wurde kombiniert mit einem ausgesprochen praktischen Ansatz. Eine Schülerin der Waldorfschule in Bergen, die nicht gut in Gymnastik war und Jörgen Smit als Sportlehrer hatte, erzählte mir, wie sehr er immer wieder zum Üben, Üben und noch mehr Üben anzuspornen wusste. Das war sein Lebensmotto für alles.

An der Waldorfschule in Bergen arbeitete er insgesamt 24 Jahre. Zwischendurch hatte er im Schuljahr 1955/56 ein Freijahr. Er machte eine Reise durch sein geliebtes Griechenland und besuchte der Reihe nach die verschiedenen anthroposophischen Initiativen in Europa: Schulen (33 insgesamt, wie er nicht ohne ein Lachen in seinen Augen erzählte), Institute und vor allem auch Zweige und Gruppen der Anthroposophischen Gesellschaft. Auch das charakterisiert sein Wesen: keine Blitzbesuche, sondern ausführliche mit einem sehr großen Interesse dafür, wie andere arbeiten, und einem entschiedenen Blick für das Wesentliche. Es war nicht immer einfach für seine Umgebung, daß er für jeden small-talk vollkommen ungeeignet war. Unwesentliches Geschwätz wurde von ihm zurückgewiesen, schwierige Sachen konnten mit einem, maximal zwei Worten abgetan werden.

Arbeit für die Anthroposophische Gesellschaft in Norwegen

1951 wurde er mit 35 Jahren in den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Norwegen berufen. Sieben Jahre später wurde er deren Vorsitzender und Generalsekretär. Er engagierte sich stark. Die internationale Gesellschaftssituation war in diesen Jahren ausgesprochen problematisch. Die norwegische Landesgesellschaft fühlte sich sehr mit dem Werk von Marie Steiner verbunden. Zwischen dem Goetheanum-Vorstand (Albert Steffen und Guenther Wachsmuth) und der norwegischen Gesellschaft herrschte äusserste Kühle. Nur knapp konnte ein juristisches Auseinandergehen vermieden werden.

Jörgen Smit verteidigte eine Haltung nach zwei Seiten hin: Er wollte sich öffentlich und mit Begründung kritisch gegenüber Dornach verhalten, nicht aber - wie viele seiner Kollegen - die Türe endgültig zuschlagen. Er hatte Vertrauen in die Gesellschaft als werdendes Wesen und, wie sich zeigte, nicht zu Unrecht. Am Ende der fünfziger Jahre kam ein gewisser Umschwung. Nicht nur verbesserte sich die Zusammenarbeit mit dem inzwischen erweiterten Vorstand, auch die sogenannte Bücherfrage kam zu einer - zunächst vorläufigen - Lösung. Der große Gesellschaftskonflikt wurde durch den Einsatz von Willem Zeylmans van Emmichoven entspannt. Bei den vorbereitenden Besprechungen für die Wiedereingliederung der holländischen Landesgesellschaft im sogenannten Scheveninger Kreis arbeitete auch Jörgen Smit mit.

Im Jahre 1975 hielt Jörgen Smit eine kurze Ansprache, in der er auf diese Schwierigkeiten zurückblickte und sein Vertrauen in die Zukunft, in das Werdende der Gesellschaft sehr deutlich aussprach:

«... Wenn wir die Zerklüftungen, Zerspaltungen, die Gegensätze nicht nur dokumentarisch zurückblickend kennenlernen, sondern durch diese Sachen selbst mitgegangen sind, dann tritt die tiefgreifende Erfahrung deutlich hervor. Man sieht, wie Menschen - ich selbst und andere - an bestimmten Zeitpunkten völlig auseinandergehen mit so tiefen Klüften, daß man in diesem Augenblick sagen könnte: Dann zeigt aber die Erfahrung durch die Jahrzehnte hindurch, die ich miterlebt habe, daß es etwas viel tiefer Vereinendes in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft gibt, als jede äußerliche Institution es irgendwie zustandebringen könnte, nämlich die tiefste Schicksalsverbundenheit zwischen uns allen. Und diese Verbundenheit aus der geistigen Welt vor der Geburt, die strömt da hinein. Und jetzt auf der Erde kommen die Zerklüftungen, alle diese Gegensätze. Waren sie etwa nicht notwendig? Nein, durchaus nicht! Denn es geht um das Allergrößte: Die Zukunftskräfte der Gemeinschaftsbildung aus der Individualität heraus. Und das ist eine so gewaltige Aufgabe, daß die Geburt dieser Zukunfts-Gemeinschaftsbildung nur durch die allergrößten Schmerzen durchgeführt werden kann, so daß man alle Gegensätze auch ernst nehmen muß, aber als Aufgaben für die Zukunft, daß man daraus lernen und neue Kräfte in sich wachrufen kann.»

Nordische Zusammenarbeit, Aufbau eines Ausbildungszentrums in Järna, Schweden

In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war schon in bescheidenem Rahmen eine Zusammenarbeit zwischen der schwedischen, dänischen und norwegischen, später auch der finnischen Anthroposophischen Gesellschaft entstanden. Vor allem die gemeinsamen öffentlichen Sommertagungen trugen zur nordischen Gemeinschaftsbildung bei. Anfang der sechziger Jahre wurde der Entschluss zur Gründung eines Schulungszentrums für ganz Skandinavien in Järna/Schweden gefasst. Jörgen Smit gehörte zu den Gründern. 1966, er war gerade 50 Jahre alt geworden, zog er nach Järna, um den Aufbau der Lehrerbildung für die nordischen Länder in die Hand zu nehmen. Durch die kreative Zusammenarbeit des norwegisch-pädagogisch-spirituellen Felsens Jörgen Smit mit dem schwedischen Kunstschaffenden und Sozialkünstler Arne Klingborg bildete sich eine anthroposophische Atmosphäre mit großer Ausstrahlung. Sehr viele Menschen fühlten sich angesprochen und wurden Studenten, Mitarbeiter und Förderer. In relativ kurzer Zeit entstand ein ganzes Spektrum von Instituten und Gebäuden, und Järna wurde zu einem deutlich wahrgenommenen Faktor im schwedischen Kulturleben.

Der Mensch Jörgen Smit muss in seiner schwedischen Zeit sehr viel umgänglicher geworden sein. Eine kleine Anekdote sei hier eingeflochten. Es wurde mir von einem Experiment berichtet, bei dem versucht wurde, Rudolf Steiners letzten Weihnachtstagungs-Vortrag auf einer improvisierten Freilichtbühne mit allen ca. 120 Teilnehmern einer Tagung zu dramatisieren. Jörgen Smit hatte die Rolle des «Hüters der Schwelle». Er stand erhöht und hatte die Aufgabe, die heranstürmende Menschengruppe mit kräftiger Stimme an der Schwelle zurückzuweisen. Für viele Teilnehmer war das schon eine unvergessliche Erfahrung. Einige haben aber noch stärker in Erinnerung, wie es bei einer Probe anfing zu regnen und die meisten Menschen geneigt waren, ins Trockene zu flüchten. Jörgen blieb aber auf seinem Posten und rief nun umgekehrt die Menschen auf, doch weiterhin auf die Schwelle zuzugehen! Für ihn war es ausgeschlossen, daß ein wenig Regen (es regnete Bindfäden) einen von diesem Streben abbringen könnte.

Vorstandsmitglied am Goetheanum

Im Jahre 1975 wurde Jörgen Smit gleichzeitig mit dem späteren Ersten Vorsitzenden, Manfred Schmidt-Brabant, in den Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach aufgenommen. Das Lehrerseminar am Goetheanum und die Leitung der Jugendsektion, später auch der Pädagogischen Sektion, wurden seine Aufgaben neben der allgemeinen Vorstandstätigkeit.

Vortragsredner in aller Welt

Bald entwickelte sich eine fast unvorstellbare Vortragstätigkeit. All das früher Gelesene und Studierte wurde nun individuell verarbeitet an die Welt zurückgegeben, wieder ausgeatmet. In seinem Nachlass fand ich eine exakte Übersicht der 4889 von ihm gehaltenen Vorträge. Mehr als die Hälfte davon wurde in den 16 Jahren seiner Dornacher Zeit gehalten, manchmal drei oder vier an einem Tag und einmal sogar für 3.500 Zuhörer. Er hielt seine Vorträge in der ganzen Welt, in englischer, deutscher und norwegischer Sprache. Als ich einmal etwas scherzend zu ihm sagte, er ginge, was die Zahl der von ihm gehaltenen Vorträge betreffe, schon ein gutes Stück in Richtung der Anzahl der von Rudolf Steiner gehaltenen Vorträge, wurde ich scharf korrigiert. Einen solchen Vergleich fand er absolut unpassend. Er sah auf die Qualität, und mit Vorgängen unterschiedlicher Dimension durften keine Rechnereien angestellt werden.

Seine Vorträge waren immer voller Beispiele und im Aufbau meistens nicht schwierig. Er sprach sehr plastisch. Viele Menschen werden seine großen Handbewegungen noch vor sich sehen. Er war kein Schriftsteller. Die von ihm erschienenen Bücher, die in großen Auflagen verkauft werden, sind bearbeitete Vorträge, alle in den letzten vier Jahren entstanden. Keines der Bücher entstammt seiner eigenen Initiative.

Obwohl er wirklich ein großer Redner und ein großer Pädagoge war, konnte er doch auch außerordentlich gut schweigen, vor allem, wenn dasjenige, worüber gesprochen wurde, ihm nicht der Mühe wert schien. Seine Kollegen im Vorstand können sich an diese Qualität, wie sie mir erklärten, nur allzu gut erinnern.

Die Jugendsektion am Goetheanum

Die Jugendsektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft kam unter seiner Führung zu einer großen Blüte. Dies hing vor allem mit seinem Führungsstil zusammen. Denn obwohl er selbst ein so starkes Denken und Wollen hatte, war er außerordentlich freilassend und tolerant und wollte dasjenige zur Realisierung bringen, was die Jugendlichen selbst wollten. Er sah seine Aufgabe darin, vor allem durch Vorträge und andere Beiträge zu helfen. Menschen, die individuell Rat bei ihm suchten, und das waren sehr viele - wurden zwar immer empfangen; aber selten wurde auf das Gefragte direkt eingegangen. In manchen seiner Vorträge kam die Antwort dann aber zum Vorschein.

Er war immer bereit, etwas Neues zu finden und war stets offen für neue Mitarbeiter. Menschen, die zum ersten Mal ins Goetheanum kamen und etwas Interessantes sagten, wurden von ihm oftmals sofort in die Arbeit einbezogen: ein unglaublich großes Vertrauen. Woher stammte dieses Vertrauen? Seine Methode basierte darauf, mit dem werdenden Menschen zu arbeiten. Der werdende zukünftige Mensch war für ihn kein abstraktes Konzept, sondern erlebte Wirklichkeit. So arbeitete er ganz konkret mit der Zukunft. Auch seine Auffassung von Reinkarnation war überhaupt nicht vergangenheitsbetont. Einmal hörte ich ihn so über Reinkarnation vortragen, daß es eigentlich gar nicht interessant sei, daß dieselbe Individualität sich neu inkarniere, viel interessanter sei es, daß jetzt und hier in dieser Inkarnation ein Mensch neue Schritte tun und seine Zukunft vorbereiten könne. So war die Quelle, aus der er arbeitete, auf die Zukunft gerichtet. Der Grund dafür, daß so viele tausend junge Menschen sich von ihm angesprochen fühlten, hängt wohl damit zusammen.

Er war nicht darauf aus, neben seiner Tätigkeit für die Freie Hochschule, der allgemeinen Vorstandstätigkeit, der Jugendsektionsarbeit und dem Unterricht am Dornacher Lehrerseminar noch eine weitere Funktion zu bekommen. Er wurde aber sowohl aus dem Umkreis der Urzelle der Waldorfpädagogik in Stuttgart als auch von seinen Kollegen in Dornach so nachdrücklich gebeten, die Leitung der Pädagogischen Sektion zu übernehmen, daß er schließlich einwilligte. Er gab seine Arbeit am Lehrerseminar auf und widmete sich einige Jahre der Leitung dieser Sektion. Ihre bis dahin kaum wahrnehmbare Tätigkeit erweiterte sich sofort ins Große. Schon bald entstanden die Welt-Lehrertagungen am Goetheanum - insgesamt bisher drei an der Zahl -, die auf die gemeinsame inhaltliche Arbeit in den Lehrerkollegien rund um die Welt aufbaute. Zum ersten Mal wurde es auch sichtbare Realität, daß die Waldorfbewegung längst eine weltweite Bewegung geworden war. Sehr viele Lehrer - aus Deutschland und der ganzen Welt - haben Jörgen Smit in diesem Zusammenhang wahrgenommen.

Eine Fähigkeit von Jörgen Smit war rätselhaft: Er hatte trotz der Häufung von verschiedenen Funktionen immer Zeit. Er hatte Zeit, seine Vorträge vorzubereiten, nahm sich Zeit zum Reisen, lieber mit dem Zug und dem Boot als mit dem Flugzeug. Für Gespräche nahm er sich ebenfalls Zeit, und bei den Mitarbeitern der Bühne am Goetheanum war er sehr beliebt, denn wenn er in Dornach war, kam er immer zu allen Aufführungen, manchmal auch zu den Generalproben und zu den Abschlüssen der verschiedenen Kunstschulen.

Diese Liebe zur anthroposophischen Kunst hatte noch einen anderen Aspekt. Einmal fragte ich ihn nach seinem persönlichen Verhältnis zu Rudolf Steiner. Die Antwort war sehr überraschend: Er sagte, daß er die Anwesenheit von Rudolf Steiner bei jeder Eurythmie und Sprachgestaltung erlebe. Dies war für ihn ein Trost und eine Quelle der Inspiration, um intensiv schöpferisch-gestaltend mit der Anthroposophie zu arbeiten.

Arbeit für die Frei Hochschule für Geisteswissenschaft

In den letzten Jahren zog er sich von einigen Aufgaben zurück und konzentrierte sich auf die Arbeit mit Klassenmitgliedern. 1980 hatte er mit Wochenendzusammenkünften von Klassenmitgliedern der Jugendsektion angefangen, um mit den Inhalten von jeweils einer oder zwei Klassenstunden zu arbeiten. Er entwickelte eine Arbeitsform, die schon bald übernommen wurde, zunächst in Deutschland in Marburg und dann später in vielen anderen Städten Deutschlands und Europas. Die Entwicklung der Freien Hochschule und ihre zukünftige Form wurden so zu seinem letzten Lebensmotiv.

Für den Sommer 1991 wurde eine Konferenz in Järna geplant, bei der alle neunzehn Stunden von ihm frei gehalten werden sollten. Als er dann im Januar 1991 erkrankte und viele verabredete Aufgaben absagen musste, war sein größter Wunsch, doch noch diese Tagung in Järna mitzumachen. Das Schicksal hatte es anders vorgesehen.

Krankheit und Tod

Die letzten drei Monate seines Lebens musste er in der Ita Wegman-Klinik in Arlesheim verbringen. Auch dort wurde die Zeit genutzt, um soviel wie möglich zu arbeiten. Regelmäßig ließ er sich Bücher von Rudolf Steiner bringen und arbeitete konsequent an den Karmavorträgen, Evangelienzyklen und vielen anderen Themen. Er sortierte seine Vortragsnotizen und wollte, wenn ihm die Zeit noch vergönnt wäre, einige Vorträge für eine schriftliche Herausgabe bearbeiten. Vom Moment an, als er hörte, daß er nicht mehr lange zu leben habe, war er ohne die geringste Sentimentalität bereit zum Sterben.

Die Reaktion aus der ganzen Welt auf seine Erkrankung war sehr groß. Sein Zimmer verwandelte sich schon während der ersten Tage in ein Blumenmeer. Die Zahl von Briefen, die er empfing, von ganzen Lehrerkollegien, Instituten oder von Teilnehmern von Tagungen, wo er hätte sprechen sollen, aber natürlich auch von einzelnen Menschen, war gigantisch. Ich schätze, daß es während der 104 Tage seiner Krankheit mindestens 1.500 waren. So strömte die Dankbarkeit für seine Tätigkeit zu ihm zurück.

Einige Tage vor seinem Tod erzählte er, dass er sein ganzes Leben vor sich sehe und mit größter Dankbarkeit darauf zurückblicke. Seine letzten Stunden verlebte er ausgesprochen geistesritterhaft: Einerseits mit seinem sehr kranken Körper im Zimmer in der Klinik, mit vollem Bewusstsein von allem, was dort geschah, andererseits aber bereits in der geistigen Welt. Er konnte beide Dimensionen klar voneinander unterscheiden. Er sagte, dass er «jetzt seine große Reise anfange», sprach einige Male: «So sei es», und berichtete einige Stunden später, nun durch den ersten Teil der Handlung hindurch zu sein. Wiederum einige Stunden später, der Himmelfahrtstag war gerade zu Ende gegangen: «Ich gehe in das Heiligtum». Einige Minuten später fiel er in einen tiefen Schlaf und starb eine Stunde später.

So ist ein großer Kämpfer für die anthroposophische Wahrheit von uns gegangen. Die überwältigende Teilnahme in den Tagen nach seinem Tod oder, besser gesagt, seiner Geburt in der geistigen Welt am 10. Mai 1991 und die würdige, festliche Stimmung während dieser Tage bereitete darauf vor, ihn als Helfer und Ratgeber für die anthroposophische Sache in der Sphäre zu erleben, in der er jetzt weilt.

Einer seiner letzten Vorträge im Januar 1991 hatte das Thema «Sterne und Planeten» und wurde vor Studenten in Dornach im Haus Julian gehalten. Der Vortrag endete damit, daß er mit seiner mächtigen Gestalt ins Freie auf die Treppe trat und mit etwa 80 Studenten um sich herum auf die verschiedenen Sternbilder und Planeten deutete, als ob er schon auf den Sternenweg, den er nun geht, zeigen wollte.

Rembert Biemond

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